Abschied von der Weltformel

Vor 100 Jahren wurde der deutsche Physiker Werner Heisenberg geboren

Von Wilfried Schroeder und Hans-Juergen Treder

Der Versuch, die Welt zu verstehen, sie zurueckzufuehren auf einen Punkt und gleichsam in einem Entwurf zu erfassen, ist nicht neu. Immer wieder gab es Ansaetze, den Kosmos einzubinden in eine Formel, oft als Universal- oder Weltformel bezeichnet. Die traditionelle Welterkenntnis erlitt eine erste Erschuetterung mit dem neuen Weltbild des Kopernikus, den Himmelsgesetzen Keplers und den einsetzenden naturwissenschaftlichen Methoden und Beobachtungen.

Erst die aufbrechende Physik, neuer mathematischer Methoden und Instrumente maechtig, setzte an, das Restliche zu erforschen und im 19. Jahrhundert schien es, als habe man alles erklaert. Dann kam Max Planck, dann Albert Einstein und auf einmal stand die Physik, jene Wissenschaft, die das Objektive, Unangreifbare repraesentierte, ohne Fundament da. Hervorragende Physiker wollten nicht glauben, konnten nicht nachvollziehen, was Einstein da verkuendete, selbst Planck war erst kritisch, schwenkte dann um und mit ihm viele andere. Die Relativitaetstheorie geriet zum oeffentlichen Ereignis, Einstein wurde ein gefeierter Medienstar,- obwohl kaum jemand den Inhalt seiner Theorie verstanden hatte. Mit einem Male schien es so, als habe man die Welt schlechthin erklaert, als markiere Einstein das Ende der neuzeitlichen physikalischen Erkenntnis, als habe die Physik ihren Weg vollendet, ihr Ziel erreicht.

Doch dann schockierte ein junger Mann aus der Schule des beruehmten Arnold Sommerfeld mit neuen Ideen, die vielen unverstaendlich waren. Die Rede ist von Werner Heisenberg, geboren am 5. Dezember 1901 in Wuerzburg. Er hatte 1923 bei Sommerfeld seinen Doktor gemacht, kurz danach habilitierte er sich. Er lernte Max Born in Goettingen und Niels Bohr in Kopenhagen kennen. Diese Begegnungen gaben den  Anstoss zu spektakulaeren physikalischen Arbeiten, wovon die Matrizenmechanik die bekannteste ist. Dieses Modell beruht auf der Idee, nur beobachtbare Groessen in der Physik zu benutzen. Im Jahr 1927 formulierte er die so genannte »Unbestimmtheitsrelation«, nach der, eine klassisch-deterministische Beschreibung des Mikrokosmos unmoeglich ist. Obwohl Heisenberg, von den Konsequenzen seiner Theorie erschreckt, diese zu »verbessern« suchte, hat das Original bis heute jede experimentelle Pruefung bestanden.

1927 wurde Heisenberg an die Universitaet Leipzig berufen, wo sich rasch ein fuehrendes Zentrum der Physik herausbildete. Davon kuenden Namen wie Edward Teller, Victor Weisskopf, Carl-Friedrich von Weizsaecker, Friedrich Hund, Siegfried Fluegge und Rudolf Peierls. In dem von Heisenberg dominierten Mitarbeiterkreis wurde die Quantentheorie auf den Bau der Materie angewandt. Ausserdem entwickelte er gemeinsam mit Niels Bohr die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie. Nach der Entdeckung des Neutrons begann Heisenberg im Jahre 1932 mit einer Theorie des Aufbaus der Atomkerne aus Protonen und Neutronen, wobei die Kraefte zwischen diesen durch Elektronen vermittelt worden sollten. Damit wurde eine neue Art von Kraft eingefuehrt, deren Natur spaeter Hideki Yukawa genauer bestimmte. 1932 erhielt Heisenberg den No- belpreis fuer Physik. Waehrend des Krieges war er fuehrender Kopf im Uran-Projekt des deutschen Heereswaffenamtes. Nach seiner lnternierung, durch die Westalliierten ging er nach Goettingen, 1958 gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut fuer Physik nach Muenchen. Heisenberg gehoerte unter anderen zu den Initiatoren des, »Goettinger Manifestes« gegen die Atombewaffnung der Bundesrepublik.

Etwa ab 1953 befasste er sich mit der nichtlinearen Spinortheorie, wonach alle Elementarteilchen aus einer einzigen Feldgleichung folgen sollten. Diese als »Heisenberg´sche Weltformel« auch oeffentlich bekannte Formulierung erregte breites Aufsehen und spiegelte Wunsch wider, das gesamte physikalische Geschehen sozusagen in einem Wurf zu erfassen. Leider erfuellte sich seine Hoffnung nicht. Die Komplexitaet der realen Welt duerfte wohl auch der unlaengst von dem Cambridger Physiker Stephen Hawking entworfenen »Weltformel« ein aehnliches Schicksal bereiten.

Heisenbergs Arbeiten zur Quantenmechanik haben der Physik eine neue Dimension, eine neue Formation gegeben, die Welt zu betrachten, zu beschreiben und zu erfassen. Seine Aufsaetze, seine Bezuege zu Schroedingers Wellenmechanik, aber insbesondere sein Schritt, die klassische Mechanik voellig umzubauen, hat der Physik die Moeglichkeit gegeben, andere, neue Denkansaetze zu verfolgen und zu einem neu gewerteten Verstaendnis zu kommen. Seine Beitraege stehen in einer Reihe mit denen von Newton und Einstein, verkoerpern sie doch die Erweiterung der Physik schlechthin.

Neben seinen rein physikalischen Interessen muss Heisenberg auch als bedeutender philosophischer Gespraechspartner gesehen werden, besonders auch in der Diskussion mit dem schwierigen Thema Religion. Das Verhaeltnis von Physik und Religion war immer belastet durch Missverstaendnisse und kuenstlich herbeigeredete Gegensaetze, teilweise primitivster Formen der Auseinandersetzung. Erst Planck hat eine wohltuende Gespraechssituation zwischen der christlichen Religion und der Physik bzw. den exakten Naturwissenschaften herbeigefuehrt. Er machte deutlich, dass beide Gebiete die ihnen zustehenden spezifische Aufgabe haben. AEhnlich dachte Heisenberg, auch er sah keinen unueberwindbaren Gegensatz beider Disziplinen, bzw. »Weltanschauungen«. Damit hat er einen wohltuenden Einfluss genommen auf ein sich ergaenzendes, statt sich bekaempfendes Gespraech von exakter Naturwissenschaft und christlichen Religion. Fuer ihn war Gott nicht beweisbar bzw. widerlegbar; alles war nur eine Glaubensaussage, die auch eine noch so sehr vorausschauende Physik akzeptieren konnte.

Eine persoenliche Anmerkung zum Schluss: Beide Autoren dieses Artikels hatten mit Heisenberg zu tun. Einer, Hans-Juergen Treder, hatte als 14-jaehriger Schuljunge Heisenberg eine neue »Theorie« vorgeschlagen. Daraufhin lud der beruehmte Physiker den spaeteren Potsdamer Astrophysiker zu einem Essen in sein Institut nach Berlin-Dahlem ein, wo er ihm auseinander setzte, dass seine Theorie falsch sei. Der andere, Wilfried Schroeder, wollte Heisenbergs Position zum Spannungsverhaeltnis Naturwissenschaft und Religion erfahren. Auch er erhielt von dem Nobelpreistraeger freundliche Hilfe. Heisenbergs Guete gegenueber Menschen, die sich an ihn wandten, rundet das Bild eines grossen Forschers ab, der sich seinen Mitmenschen, besonders auch seinen Schuelern, stets verpflichtet fuehlte.

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