Begegnungen zwischen Hermann
Hesse und Manfred Hausmann
Von Wilfried Schroeder, Bremen
Beide,
Hermann Hesse und Manfred Hausmann, sind in ihrem langen Leben zahlreichen
Menschen begegnet, hatten mit vielen von ihnen zu tun und wurden im Laufe des
dichterischen Schaffens zu einer Art Beichtvater fuer die Leserschaft. Damit ist
ein erster Aspekt angesprochen, der beide miteinander verbindet, ja, der zu
einem wichtigen Punkt in ihrem Wirken wurde: das Dasein fuer den Fragenden, den
Suchenden, den Zweifelnden, fuer jene Menschen, die eine Loesung, zumindest
jedoch eine Linderung ihrer vorgetragenen Fragen erwarteten, erhofften.
Der
Briefwechsel von Hermann Hesse gibt hinreichend Auskunft darueber, wie sehr er
sich den Suchenden, denn solche waren sie in grosser Zahl, verbunden fuehlte. So
wundert es nicht. dass er sich mehrfach angesichts der ihm zugetragenen Probleme
dahingehend aeusserte: "Ja. sie brauchen mich alle, ploetzlich" Es galt
dies besonders fuer jene Jahre nach dem Kriege, als die Menschen nach neuen
Bestimmungen, Ortungen ihres Lebens suchten und darauf hofften, eine Antwort.
vielleicht sogar eine Richtung Gewiesen zu bekommen.
Jene
Jahre Ende der Vierziger waren gekennzeichnet neben der materiellen vor allem
durch eine grosse geistige Not. Der kulturelle Neuaufbau konnte nur langsam
vonstatten gehen, die Mittel und Moeglichkeiten waren begrenzt und mancher
scheute sich indes vor den Menschen aufzutreten. Menschen wie Yehudi Menuhin,
der sich dem Berliner Publikum gerne stellte. waren so zahlreich nicht. Das
zusammengebrochene Kulturleben traf in besonderer Weise die Suchenden, die
Umher- irrenden, jene Heimatlosen des Geistes und der Seele. An wen sollten sich
die Menschen wenden, wenn nicht an ihre Dichter, die sie aus all den Jahren
schon kannten. deren Schriften sie gelesen und deren Worte sie vernommen hatten?
Hesse entzog sich dieser Aufgabe, die wohl eine Pflicht fuer jeden
Geistesschaffenden war, keineswegs. Er oeffnete sich trotz aller
Beschwerlichkeiten seinem Publikum, seiner Leserschaft sowie all jenen
Namenlosen, die ihm schrieben. Seine Briefe sind ein Dokument der Menschlichkeit
und zeigen feinfuehlig, wie er sich der Menschen annahm.
Uebrigens
erinnert dies alles auch an einen anderen Grossen, der sich vom Ansturm der
Menschen ueberzogen fuehlte: Es wir der Schweizer Psychotherapeut Carl-Gustav
Jung. Er, der offenbar die seelischen Noete von Berufs wegen kennen musste,
wurde ebenfalls in allen denkbaren Fragen und Problemen angegangen. Ja, die
Erwartungen des Publikums waren so gross, dass Jung manchmal darauf hinweisen musste,
das auch er nur begrenzt sich diesem Ansturm widmen konnte, schliesslich sei
auch er nur ein Mensch und all die Suchenden uebersaehen, dass auch sein Leben
mit Fragen und Problemen verbunden sei. Indes: Jung´s umfassende Briefbaende
zeigen. wie sehr er einging auf die Fragen und Anregungen. die ihm mitgeteilt
wurden.
Und
Manfred Hausmann? Bei ihm war es nicht anders: zahllos sind die Briefe, die er
erhielt, sei es von Schulklassen, sei es von Lesern oder Hoerern seiner
Lesungen. Auch er sah sich, vielleicht in engerem Rahmen, in Anspruch genommen
als eine Art Instanz, als jemand, der doch wissen muesse. In dieser Wirksamkeit
sind sie sich also aehnlich. vielleicht sogar gleich: Hesse und Hausmann.
Ein
weiterer Punkt kommt hinzu: nachdem Krieg war Hausmann als Redakteur an einer
bremischen Zeitung taetig. Er war fuer die Kultur sowie die Beilage "Siebengestirn"
zustaendig. Wie schon erwaehnt, duerstete das Publikum nach
geistig-kulturellen Belehrungen und Hinweisen. Deshalb war Hausmann auch um ein
vielseitiges Angebot bemueht. Sein damaliges Schaffen wird ueberdies beleuchtet
aus einer Sammlung, seiner Gedichte unter dem Titel "Fuereinander", die
Suhrkamp 1946 herausgebracht hatte. Es ist ein kleines Buechlein. auf holzigem
Papier gedruckt, und doch: Es enthielt schon im Titel etwas von jenem, was die
Menschen jener Jahre suchten: Fuereinander, was eben auch meint, nicht nur das
Miteinander in der Liebe zweier Menschen, vielmehr darueber hinaus auch fuer-
und miteinander zu sein mit dem. anderen. Gleich das erste im Buechlein
abgedruckte Gedicht, "Magie" fuehrte denn auch ein in jenen Rahmen des
Aufeinander-Bezogenseins:
Magie Soll das Geheimnis in den Worten singen, das
Urbestaendige im Wandel gestalten, Soll dein Gedicht den Widersinn vollbringen, |
Wenn
schon das Gedicht den Widersinn vollbringen soll, um so mehr die Kultur, also
jenes Angebot, das gleichsam auf dein Nichts aufbauend neues Leben schafft.
Dieser Herausforderung sah sich Hausmann durch seine journalistische Taetigkeit
gestellt. Diese fuehrte auch dazu, dass es 1948 zu einem Austausch mit Herrmann
Hesse kam. Hausmann hatte Hesse seine Schrift "Von der dreifachen Natur des
Buches" zukommen lassen. Sie beruhte auf einem Vortrag, anlaesslich der
Ausstellung "Deutsches Buchschaffen", die 1947 in Bielefeld stattfand. Das
Buch als Mittler und Vermittler war etwas, was dem Buecherfreund Hausmann ueberdies
am Herzen lag. Nicht nur, dass er durch sein eigenes literarisches Schaffen
hierzu ein besonderes Verhaeltnis hatte, vielmehr war es ihm auch ein
kulturelles Kleinod in Geschichte und Gegenwart.
Als
Gegengabe erhielt Hausmann von Hesse dessen "Nicht abgesandter Brief an eine
Saengerin".
Diese Publikation hatte es Hausmann angetan. Er stellte sie im literarischen
Gespraech vor und wollte sie gerne in der Literaturbeilage der Zeitung. eben im
"Siebengestirn" veroeffentlichen, um sie einem groesseren Leserkreis
zugaenglich
zu machen. Er bat also um Abdruckerlaubnis. In seinem Brief an Hesse betont er
denn auch, dass besonders junge Menschen von dessen Standpunkt beeindruckt
wurden und gerade das sei es ja, die Klarheit, die heilige Nuechternheit, was
den Deutschen in dieser Zeit so Not tue. Zugleich nahm Hausmann seinen Brief zum
Anlass, Hesse um weitere Arbeiten zu bitten.
In
dem erwaehnten Aufsatz "Nicht abgesandter Brief an eine Saengerin" setzt
sich Hesse mit den vielfaeltigen Aspekten der kulturellen Begegnung und des
individuellen Erlebens auseinander. Er beschreibt jene Gluecksmomente, in denen
der Besucher zum Beschenkten wird, wenn er das empfangene Werk vollstaendig erfasst,
von Herzen anzunehmen und zu geniessen weiss. Jedoch macht Hesse auch deutlich,
wie sehr es um den Hochgenuss, ja das Erfuehlen fuer den Einzelnen geht: Nicht
die Begeisterung der Vielen ist sein Anliegen, vielmehr fuerchtet er fast diesen
oftmals uebersteigerten Begeisterungsrausch der zahlreichen Besucher, der rasch
in ein Massenphaenomen umschlagen kann. Demgegenueber steht sein individueller
und Kuenstlerischer Instinkt, der ihn kalt und misstrauisch werden laesst ob all
der Massenbegeisterungen. die ueberdies ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr
steuerbar sind und einer Art Eigendynamik unterliegen, die jeden Zugriff unmoeglich
macht. Das gelegentliche "Mitgezogensein" anlaesslich eines Konzertes, das
dazu fuehrt, dass das Publikum gleichsam einem Rausch erliegt und durch bestaendiges
Klatschen das Ereignis zu verlaengern sucht, das, so laesst Hesse seine Leser
wissen. hat ihn nur gelegentlich und dann in jungen Jahren erfasst. Diesem fast
rauschhaften Erleben folgte, so schreibt er, das Uebelbefinden, das man auch als
schlechtes Gewissen oder Katzenjammer hinlaenglich kennt.
Man
kann erahnen, wie diese Darstellung auf die Leserschaft jener Jahre, die sich
darin fast wiedererkennen konnte, wirken musste: jene, die auf der Suche nach
ihrem verlorenen Selbst waren, erkannten sich im Text wie in einem Spiegelbild.
Besinnung auf das Eigentliche, auf das Individuum, und kritische Distanz zum
Erlebten, selbst wenn es noch so verlockend. so schoen und erhebend war,
forderte der Text. Der Einzelne war zurueckgeworfen auf sich: Er sah sich in der
Distanz zum jubelnden Wir, entdeckte sein Ich, das letztlich einsam blieb im
Taumel der Gefuehle, um am Ende sich selbst ueberlassen zu bleiben.
Es
wundert nicht, dass Hesses Beitrag viel Resonanz fand. Um so groesser war das
Bestreben Hausmanns, Hesse fuer eine weitere Mitarbeit zu gewinnen, zumindest zu
motivieren. Denn es war klar, dass es Hesse angelegen sein musste, was die
Jugend dachte und fuehlte und wie sie ihren Weg fand. So schrieb er auch in
einem anderen Brief jener Jahre: "Das ist huebsch. dass es in Deutschland
wieder eine Jugend gibt, die ein Verhaeltnis zu mir hat." Sicher hatte die
Jugend auch weiterhin ein besonderes Verhaeltnis zu Hesse, hat er doch mit
seinen Schriften vieles beschrieben, was eben diese juengeren Generationen immer
wieder beschaeftigte.
Andererseits
- auch das muss fuer jene Zeit gesehen werden und gilt wohl fuer andere Jahre
auch - fuehlte Hesse sich durch die vielen an ihn herangetragenen Wuensche ueberfordert.
"Ja, sie brauchen mich alle, ploetzlich" laesst er wissen. Man erwartete
von ihm sehr viel, mehr als er vielleicht in allen Faellen haette geben koennen.
Deshalb wundert es nicht, dass auch Hausmann eine Absage erhielt. Zwar hatte
Hesse einen weiteren Beitrag, "Das gestrichene Wort", beigefuegt, doch
war dieser schon einer anderen Zeitung zugesprochen. Ausserdem hatte Hesse
Hausmann wissen lassen. dass er keine Abdrucke mehr in Deutschland vergeben
wolle. Hausmann bat herzlichst darum, mit seiner Zeitung eine Ausnahme zu machen
und machte darauf aufmerksam, wie sehr gerade Hesses Worte Staerkung und Bestaetigung
fuer die Leserschaft. besonders auch all jene, die da suchten, sein wuerde. Es
erinnert manches an Hausmanns Gedicht "Weg in die Daemmerung", dessen letzte
Strophen lauten:
Weg in die Daemmerung Wer
des Lichts begehrt, Wo
kein Sinn mehr misst, |
War
es nicht das Licht. das viele Menschen in diesen Jahren suchten und
herbeisehnten? War es nicht die Sinnlosigkeit, die viele zunaechst verzweifeln
liess, um dann in allem doch das Sinnhaftige zu finden, zumindest soweit zu
erahnen, dass der eigene Lebensweg neu geplant und schliesslich beschritten
werden konnte? Eben dort, wo kein Weg mehr scheint, wo das Ende fast
unausweichlich ist, dort geschieht vielfach das Unvorstellbare: der Beginn.
Im
Jahre 1949 wurden Hausmanns Baende "Nachtwache", "Alte Musik" und
"Fuereinander"
vereinigt und erschienen unter dem Titel "Die Gedichte". Dieses Buch hatte
Suhrkamp auch an Hesse geschickt, der sich dazu in einem Brief aus dem Januar
1950 aeusserte:
"Hochgeschaetzter
Herr Hausmann!
Ich
moechte Ihnen einen Gruss schicken, der keiner Antwort bedarf. Suhrkamp sandte
mir Ihren Gedichtband, und ich habe in den letzten Tagen manches darin gelesen.
Frueher hatte ich zu Ihrer Lyrik keine rechte Beziehung, jetzt habe ich das
einigermassen korrigiert, obwohl ich bei meiner Ueberbuerdung laengst kein guter
Leser mehr bin. Ich habe Ihrem Spiel mit Vergnuegen und Ruehrung zugehoert. Das
tat mir wohl und dafuer danke ich Ihnen."
Der
Gedichtband hat viele Seiten des Hausmann'schen Weltverstaendnisses und seine
eigene Weltsicht, auch die Natursicht. zum Ausdruck gebracht. Stellvertretend
mag dies ein Gedicht zeigen, das erstmals im Band "Jahre des Lebens" 1938
erschienen war:
Nachtwache
Wenn
einer wachen muss, lass mich's denn sein. Ich
denke an das Irrsal und den Harm. Schoen
ist dein Traum, dein Laecheln ist so schoen, Doch
immer muss, sonst koennte nichts bestehn, |
Sicherlich
koennen auch diese Zeilen fuer die angesprochenen Nachkriegsjahre stehen. War
Hausmann nicht, wie Hesse auch, einer jener, die da wachten? Tat er dies nicht fuer
seine Liebsten und fuer eben jene Leserschar, die hoffend sich um ihn geschart
hatte? Insbesondere in kritischen Zeiten wie solchen, in denen
Orientierungslosigkeit herrscht, wird gerne nach den Geistes- und
Kulturschaffenden gerufen. Wie konnte es also anders bei Hesse und Hausmann
sein? Beide erlitten sie eine ganz besondere Zeit, fuer beide war das
Menschenbild erschuettert worden, beide bangten um das Kulturerbe und sahen es
oft als unmoeglich an, die ihnen anvertraute Leserschar unentwegt zu begleiten.
Fuer einen Schriftsteller, der sein Wirken ernst nimmt, ist dies wohl eine
besonders schwere Zeit: abgeschnitten zu sein von jenen. die einen besonderen
Bezug zum eigenen Schaffen haben. Es kommt Einsamkeit auf fuer den Schreibenden,
der allein ist mit seinem Schaffen. Einsamkeit, die die eigene Arbeit laehmt, ja
oft am Sinn des Ganzen Zweifel weckt. Es sind Zeiten, in denen der Dichter an
sich und seiner Zeit, vielleicht an seiner Sendung zu zweifeln beginnt. Hesse
hat dies einmal so beschrieben:
Der
Dichter und seine Zeit Den
ewigen Bildern treu, standhaft im Schauen, Dir
muss genuegen, auf verlorenem Posten Der
Spott der Maerkte mag dich kaum gefaehrden. Doch
ist es besser, kuenftiger Vollendung |
Auch
hier finden sich Aehnlichkeiten zwischen Hesse und Hausmann: beide sind sie
stets ihrem Werk treu geblieben, beide traten sie keinen Schritt dahinter zurueck
und fuehlten sich ihrem humanistischen Ethos verpflichtet. Verrat am eigenen
Schaffen konnte nichts ihnen abtrotzen. Und ihre Leserschar, die treue, hat es
ihnen in all den Zeiten, den guten wie den schlechten, zu danken gewusst durch
Treue und Verehrung.
Wie
sehr Hausmann indes Hesse schaetzte, ja verehrte, zeigt auch sein Telegramm zum
80. Geburts- tag des Nobelpreistraegers: "Moechte doch der zarte Stern des
Friedens ueber Ihren Tagen stehn und Naechten", liess er Hesse wissen. Friede
war es stets, den beide begehrten, sich wuenschten, erhofften. Es war nicht nur
der allgemeine Friede, von dem man oft und manchmal beilaeufig spricht. Es war
mehr. Es war der Wunsch nach jener Geborgenheit, aus der heraus das Werk
entstehen konnte. Hermann Hesse hat ihm ein Gedicht gewidmet:
Friede
Jeder
hat's gehabt. Klingt
so fern und zag. Sei
willkommen einst. Dir
entgegen blickt Sei
willkommen einst. |
Dieses
Gedicht entstand 1914 vor dem Hintergrund des damaligen Geschehens. Es enthaelt
jedoch auch allgemeine Elemente dessen, was Friede ist: ein Hauch jener
Friedsamkeit und inneren Geborgenheit, ueber der ein milder Stern leuchtet.
In
den Beziehungen zwischen Hesse und Hausmann nimmt auch der Hesse´sche
Briefwechsel eine besondere Stellung ein. Hausmann hat sich dazu in einem
Beitrag geaeussert. Wichtig hierbei bleibt, dass das briefliche Element fuer
beide Dichter ein wesentliches Band zur Lesergemeinde war. Es war ein Quell der
besonderen Inspiration, denn all diese Zuschriften, Bitten, Wuensche und
Gedanken umkreisten einerseits das dichterische Werk. Andererseits wurden Fragen
jedweder Art vorgetragen, die die beiden Dichter zum Nachsinnen und zur Rueckaeusserung
anregten. Im niemals versiegenden Strom dieses Miteinanders wurde so mancher
neue Gedanke geboren. Das ist es auch, was die Kreativitaet der Beziehung von
Dichter und Lesergemeinde so besonders auszeichnet. Beide - Hesse und Hausmann -
hatten dabei das Glueck, eine besonders eifrig schreibende Leserschar zu haben.