Über die Polarlicht-Forschung im Internationalen Geophysikalischen Jahr  

Wilfried Schröder

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1. Vorbemerkung

Seit Jahrhunderten zählt das Polarlicht zu den herausragenden Himmelserscheinungen, die die Menschen immer  fasziniert hatten. In der Wissenschaft spielten sie lange Zeit eigentlich keine Rolle, bis im 19. Jahhrhundert gezielte Sammlungen der Daten und Vergleiche mit der Sonnenaktivtität begannen (Schröder, 1984). In den Polarjahren 1882/83 und 1932/33 wurde den Polarlichtern auch verstärkt Aufmerksamkeit zuteil, jedoch nur besonders in den arktischen und antarktischen Regionen, nicht jedoch in mittleren oder niederen Breiten. Vielfach nahm man damals auch an, dass in mittleren und niederen Breiten das Polarlicht gar nicht auftreten würde bzw. eben vielzu selten.

 Dies sollte grundsätzlich im IGJ geändert werden. Insbesondere Sydney Chapman (1888-1970), der sich mit Geomagnetismus und Polarlicht intensiv befasste, legte grossen Wert auf die Berücksichtigung der Polarlicht-Überwachung. Dazu sollen nachfolgend einige Hinweise gegeben werden, zählte doch dieser Programmteil zu einem Hauptstück des IGJ.

2. Die Erweiterung der Kenntnisse vom Polarlicht

Das Wissen um das Polarlicht war bis in das 19. Jahrhundert hinein sehr begrenzt. Noch bis 1716 wurde es als göttliches Geschick bzw. Gesicht und bedrohlich Wunderzeichen angesehen. Erst die öffentliche Lesung von Chr. Wolff in Halle anlässlich des Auftretens der grossen Erscheinung vom 17. März 1716 brachte eine grundlegende Wende.

 Wolff machte deutlich, dass es sich nicht um ein erschröckliches Wunbderzeichen handelt, sondern um eine atmosphärische Naturerscheinung. Danach wurden immer wieder Arbeiten publiziert, die einen elektrischen Charakter des Polarlichtes betonten bzw. auch erste Hinweise zu einer möglichen Beziehung zum solaren Geschehen vermuteten (J. Ritter).

Jedoch sollte es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts dauern, dass das Polarlicht in den Blickwinkel der verschiedenen Disziplinen rutschte. Mit der Aufstellung eines umfangreichen Polarlicht-Kataloges durch den Deutsch-Schweizer Hermann Fritz im "Verzeichnis beobachteter Polarlichter" (Wien 1873) war ein erster Schritt getan, um das klimatologische Verhalten dieser Erscheinung zu erfassen.

 Fritz veröffentliche nicht nur ein Isochasmensystem, d.h.  eine Weltkarte der Polarlichthäufigkeit, sondern auch eine gute Monographie (Das Polarlicht, 1881), die das Wissen der damaligen Zeit erfasste (vgl. auch  Hultqvist, 1959).Allerdings war klar, dass mancherlei Daten nicht erfasst wurden und Fritz’ Ergebnisse ein entscheidender, wenngleich wichtiger Schritt war. Viele Befunde von Polarlichtern, insbesondere in mittleren Breiten, waren und sind ja häufig ein Zufallsbefunde, weil sie entweder in schwer zugänglichen Zeitschriften veröffentlicht wurden bzw. in Archiven aufbewahrt wurden.

Übrigens ist ganz interessant, dass auch für die Südhemsiphäre eine Zusammenfassung der Daten vorgelegt wurde, und zwar von W. Boller. Diese wurde in „Gerlands Beiträge zur Geophysik“ veröffentlicht und gab einen ersten Überblick über die „Südlichter, aurora australis“. Damit waren für die Erde Übersichtstabellen und Isochasmensysteme entworfen, die es gestatteten, das Polarlicht global zu werten. Jedoch muss stets gesehen werden, dass dies alles vorläufige Zusammenfassungen waren.  Damit waren aber  erste grundlegende Schritte getan, die durch die nachfolgenden norwegischen Untersuchungen (Birkeland, Störmer, später Harang und Vegard) vertieft wurden. Jedoch galten diese Studien wiederum besonders dem arktischen Raum. Untersuchungen vergleichbarer Art aus anderen geographischen Regionen gab es hingegen  lange Zeit nicht, deshalb auch die lückenhafte Kenntnis von der geographischen Verbreitung der Erscheinung. Eine Ursache für diese  Lage war sicherlich die Annahme, dass in mittleren oder niederen Breiten kaum mit dem Erscheinen der Polarlichter zu rechnen ist.

 Inzwischen war auch der Zusammenhang zwischen Sonnenflecken-Zyklus und Häufigkeit der Polarlichter bekannt geworden (Fritz, Wolf, Gautier).Insbesondere Rudolf Wolf konnte anhand seiner Polarlicht-Sammlungen und  dem von ihm abgeleiteten Sonnnenfleckenzyklus diese Zusammenhänge nachweisen. Vertieft wurde dies durch die Vergleiche von Fritz zwischen der Poalrlicht-Häufigkeit und dem solaren Zyklus.  Damit waren im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zahlreiche Erkenntnisse erhalten worden, die bis in das IGJ ihre Gültigkeit behalten sollten. Die Erkenntnisse aus dieser Zeit wurden teilweise erfasst in den Büchern „Das Polarlicht“ (H. Fritz, 1881), „Under the Rays of the Aurora Borealis“ (S.Tromholt, 1885), „L’Aurores Boreale“ (M. Lemström, 1886) und „The Aurora Borealis „(A. Angot, 1896).

Es ist ganz interessant, daß tatsächlich eine neue und erweiterte Fragestellung erst mit dem IGJ und dem Wunsche von Sydney Chapman nach regulärer Polarlicht-Beobachtung entstand. Alles, was bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bekannt war, es wurde z.B. von Leiv  Harang in seiner Monographie über das Polarlicht1942 erfasst, bildete den weiteren  Grundstock.Grundlegend war das Buch „ The Polar Aurora“ von Carl Störmer (1955), der als Pionier der Forschung fundamentale Arbeiten geleistet hatte. Sonst gab es noch einige Übersichtsartikel, z.B. im Handbuch der Experimentalphysik (L. Vegard, 1928), Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften (L. Vegard, 1938), Geomagnetism, Kapitel 15 (Chapman und Bartels, 1940), The Upper Atmosphere (S. K. Mitra, 1952), Vest. Akad. Nauk (Krassovsky, 1956).

 Neues war  also  nur begrenzt hinzugetreten, so dass doch eine konzentrierte Untersuchung im IGJ dringend  notwendig erschien (vgl. auch Gartlein, 1959, Hultqvist, 1959 und Vestine, 1944).

 

3. Das Polarlicht-Programm im IGJ

Der entscheidende Aspekt für das IGJ war deshalb die Beobachtung in mittleren und niederen  Breiten sowie das Thema „tropische Polarlichter“. Die Überwachung der Polatrlichter in mittleren Breiten, also auch in Mitteleuropa, war nur möglich durch Gewinnung vieler Beobachter. Verschiedene Konferenzen zur Vorbereitung sprachen deshalb davon, auch im Kreis von Amateuren Beobachter zu suchen und zur Mitarbeit zu gewinnen.

Zu diesem Zweck wurden auch nationale Reporter ernannt. In Deutschland waren dies seinerzeit Cuno Hoffmeister sowie Günther Lange-Hesse. Beide veröffentlichten auch Hinweise zur Beobachtung und sammelten die eingehenden Aufzeichnungen, wobei Hoffmeister auch vielfach Berichte schon in der von ihm herausgegebenen  Zeitschrift „Die Sterne“ abdruckte. Die westdeutschen Beobachtungen wurden später in den Sonderheften zum IGJ der Göttinger Akademie der Wissenschaften zusammengestellt.

Ziel aller Bemühungen war es, möglichst in jeder klaren Nacht eine lückenlose Himmelsüberwachung zu machen. Im Grunde gelang dies nur an Wetterstationen sowie an der Sternwarte Sonneberg in Deutschland, da Hoffmeister ohnehin regelmässig den Himmel nach Leuchterscheinungen absuchte.

Das Programm sah zunächst vor die visuellen Beobachtungen, die weltweit durchgeführt werden sollten. Unterschieden wurde zwischen einem maximalen und minimalen Programm, wobei ersteres besonders erwünscht war. Es sah eben die umfassende visuelle Beobachtung des Polarlichtes zu allen Zeiten vor, sowohl zu Land, zur See und in der Luft. Dazu wurden genaue Einzelheiten erwartet, die von den Beobachtern angegeben werden sollten. Erwünscht waren auch Skizzen sowie photographische Dokumentation

Ein weiterer Schwerpunkt des Programms waren die photographischen Beobachtungen. Dabei sollten Film-, als auch Einzelaufnahmen geworden werden, auf Farbphotographien sollte grösster Wert gelegt werden. Ziel war es auch, möglichst viele professionlle Daten mit modernstem Gerät zu erlangen, die Amateure wegen ihrer begrenzten Beobachtungsmittel nicht liefern konnten. Dies alles mündete auch in die Verwendung der All-Sky-Cameras , die eine lückenlose Überwachung „rund um die Uhr“ sicherten sowie eines umfassenden photometrischen Programms.

 Für das IGJ wurde eine Anzahl freiwilliger Beobachter gewonnen und es kam doch eine stattliche Anzahl von Beobachtungen zusammen. Dies galt auch für andere europäische Staaten, z.B. für Frankreich, wo Daniel Barbier sowie in England/Schottland , wo James Paton, die Koordination innehatte.In der früheren UdSSR wurden ebenfalls von verschiedenen Gruppen Daten gesammelt und in den USA gab es eine zentrale Sammelstelle, wobei C. W.  Gartlein und G.  Sprague  (Ithaca University) noch alles durch die Herausgabe von „Newsletters“ unterstützen.

 Letztlich ergaben die Beobachtungen im IGJ eine erstaunliche Anzahl von Polarlicht-Registrierungen; es waren wesentlich mehr, als man aus den bisherigen Erkenntnissen wusste und erwartet hatte. Die Häufigkeit der Polarlichter in mittleren Breiten war wesentlich höher, als dies z.B. aus dem Isochasmensystem von Fritz, das ja noch vielfach Grundlage vieler Aussagen war, angenommen wurde. Zudem zeigte sich, dass selbst bei geringen geomagnetischen Störungen, also etwa Kp= 5 Polarlichter in mittleren Breiten zu sehen waren, wobei auch noch eine gewisse Formenvielfalt sichtbar war. Das war eines der neuen Ergebnisse aus dem IGJ, denn  die Polarlichthäufigkeit in mittleren Breiten war höher als bisher angenommen (vgl. auch Schröder, 1964a).

Mit dem Polarlicht-Programm im IGJ waren nicht nur neue Erkenntnisse zur geographischen Verbreitung des Polarlichts gelungen, es wurden auch bessere Einblicke in die Formenvielfalt und die Farben erzielt. Einfache Polarlichter, bestehend aus Bogen und wenigen Strahlen, waren verhältnismässig oft bei kleinen Unruhen zu sehen. Grössere Polarlichter mit starken Farben (violett, strakes rot) sowie Formenvielfalt (Bogen, Strahlen, Flächen, evtl. Krone) hingegen traten nur bei sehr starken solar-geomagnetischen Störungen auf (z.B. Januar 1957, September 1958, Juli 1959, März-April 1960, November 1960). Zur Formenvielfalt muss ja bedacht werden, dass immer noch der alte Polarlichtatlas galt. Auch hier wollte man Erweiterungen durch die Beobachtungen erzielen.

 Mit dieser neuen Erkenntnis war ein neues Bild von der geographischen Verbreitung des Polarlichts gewonnen worden. Polarlichter erwiesen sich nicht nur als Erscheinungen der hohen Breiten, sondern auch der mittleren.

Ein weiterer Aspekt des IGJ war die Suche nach „tropischen Poalrlichtern“. Chapman hatte sich dafür sehr interessiert, wie auch eine Noitz von Professor A. P. Mitra (Indien) zeigt.

 Er schreibt: „ In these, as well in as in some articles, he pointed out that tropical auroras, although very rare, are of outstanding scientific interest. He was even able to provide a starting example. From old newspapers reports he discovered that such an aurora was observed over India on 4 February 1872 over latitudes 34 N to 19 N.” (Mitra, 1960).

Das Polarlicht von 1872 war an sich bekannt und es gab auch andere auffällige Erscheinungen, die bis in die tropischen Breiten reichten, so z.B. 1921 und zu anderen Zeiten (vgl. Schröder, 1964b). Es handelte sich um die Erscheinungen von August 1859 (Westafrika, Jamaika), September 1859 (Jamaika, Hawaii), September 1909 (Singapore, Batavia) und wie erwähnt 1921, das sogar auf Samoa zu sehen war.  Insgesamt sind jedoch Polarlichter, die äquatornah auftreten, recht selten, so dass ihnen im IGJ besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Deshalb waren auch die Schiffsbesatzungen von Handelsschiffen und anderen angesprochen worden, sich am Beobachtungsprogramm zu beteiligen. Einige  solcher „tropischer Polarlichter“ wurden dann auch im IGJ sowie später durchaus beobachtet. Zu jener Zeit waren ausserdem Meldungen von Polarlichtern aus Griechenland (Abbott), Jugoslawien (Goldberg, Götz), sowie weitere aus Japan (Matsushita) bekannt, also doch recht weniger Befunde.

Diese Daten erbrachten neue Einsichten in die geographische Verteilung der Polarlichter sowie neuer Konstruktionen von Isochasmensystemen. Insgesamt wurde gezeigt, dass Polarlichter wesentlich häufiger in mittleren und niederen Breiten auftreten als man bisher vermutet hatte. Das war neu und ein wesentliches Ergebnis des Polarlicht-Programms im IGJ.

Die Daten-Sammlungen

Zum IGJ wurden World Data Center eingerichtet, u.a. in USA und Schottland (z. B World Data Centre C for Aurora, Edinburgh), die alle eingehenden Beobachtungen (z.B. Airglow und Polarlicht) sammelten und aufbereiteten. Diese Beobachtungen standen dann allen Wissenschaftlern zur Verfügung, so dass spezielle Untersuchungen durchgeführt werden konnten. Diese Datensammlung war ein wesentlicher Punkt in der internationalen Zusammenarbeit und es wurden auch dazu zahlreiche Reports veröffentlicht.

Später wurde dies noch in den „Annals of the IGY“ vertieft.Mit der umfangreichen Material-Sammlung im IGJ waren wesentliche Unterlagen zur Klimatologie des Polarlichtes erarbeitet worden. Die Ergänzung der Land durch Schiffsbeobachtungen machte es möglich, eine gloable Überwachung durchzuführen, zumindets auf visuellem Gebiet. Hinzu kamen im IGJ die All-Sky-Cameras, die vielfach installiert wurden, und eine lückenlose Überwachung des Nachthmmeils auf Polarlichter gestatteten. Damit war eine optische und photographische Kontrolle der Polarlichter im IGJ insgesamt gesichert. Auch die All-Sky-Camera-Daten wurden später veröffentlicht.

Zusammenfassung

Mit der Durchführung eines umfassenden Polarlicht-Programms zu Lande, zur See und in der Luft wurden erheblich neue Beobachtungen und Erkenntnisse der Polarlichter in allen geographischen Breiten gewonnen und gesichert. Dies führte zu einem internationalen Datenaustausch sowie Hinterlegung in speziellen Zentren.

Mit diesem Material konnten weitergehend Aussagen zum Verhalten und Auftreten der Polarlichter  gewonnen werden, die ein neues Bild der geographsichen Verbreitung erkennen liessen. Dies war letztlich nur möglich, weil eben dieses erdumspannende Beobachtungsnetz eingerichtet worden war.Zugleich brachte diese Beobachtungstätigkeit aber auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit sich, die auch nach dem IGJ vielfach fortgesetzt wurde, wobei dann aber der Schwerpunkt auf die All-Sky-Überwachung gelegt wurde, während die visuelle Komponente der Beobachtungen doch zuückging.

Man muss festhalten, dass es insbesondere der Enthusiasmus von Sydney Chapman war, der das Interesse auf die Polarlichter lenkte und ihnen einen erweiterten Stellenwert gegenüber den Forschungen im Ersten und Zweiten Polarjahr gab. Übrigens ist auch interessant, dass Chapman sehr an den deutschen Katalogen für 1882-1957 interessiert war (veröffentlicht in Gerlands Beiträge zur Geophysik 1967).  Er unterstützte nachdrücklich alle Studien , auch zur Sammlung historischer Polarlichter, also nicht nur der tropischen, sondern auch aus mittleren Breiten. Damit war eine Erweiterung des Ansatzes gefunden, wie er im Katalog von  Hermann Fritz (1873) zum Ausdruck kommt. Die Arbeiten zum Polarlicht führten natürlich auch zu einer Vertiefung der geomagnetischen und solaren Überwachungstätigkeit.

So gesehen, hat das IGJ der internationalen  Forschung, nicht nur auf dem Gebiet der Polarlichter,  ganz erhebliche Impulse gegeben .

Literatur

Chapman, S., Auroral observation in India und Pakistan. The Symposium in high altitude research. National Institute of Sciences of India, 1957, 180.

Fritz, H., 1873, Verzeichnis beobachteter Polarlichter. Wien, Gerolds

Fritz, 1881, Das Polarlicht. Leipzig, Brockhaus

Gartlein, C. W., 1959, US Visual Observations. News Letters No. 18, 1959

Hultqvist, B., 1959, Auroral Isochasms. Nature 183, 1478-1479

Mitra, A. P., 1968 in: Sydnye Chapman, Eighty from his friends.Boulder, S.83

Schröder, W., 1964a Über das Auftreten von Polarlichtern in mittleren Breiten. Gerlands Beitr Geophysik 73, 154-156

Schröder, W., 1964b, Über das Auftreten von Polarlichtern in niederen Breiten. Gerlands  Beitr. Geophysik 73,73, 274-275

Schröder, W., 1984, Das Phänomen des Polarlichts. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Reprint: The Aurora in Time, Bremen 2000: Science Edition)

Vestine, E. H., 1944, Terr. Mag. 49, 77

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