Von Wilfried Schroeder
In
den letzten Jahren sind viele Studien erschienen, die sich mit der solaren
Variabilitaet befassten. Urspruenglich hatte der amerikanische Astronom John A.
Eddy [1] - gestuetzt auf Beitraege des englischen Astronomen
Maunder (s. [2]) - darauf hingewiesen, dass im 17.
Jahrhundert ein langes Sonnenfleckenminimum vorlag. Seitdem findet man in der
Literatur durchweg hierfuer den Begriff „Maunder-Minimum“, dem sich
neuerdings fuer vorgeblich weitere Minima andere Namen (z.B. Spoerer-Minimum,
1460-1550) anschliessen. Es bleibt zu fragen, ob und inwieweit
derartige Mutmassungen begruendet sind. Dazu will dieser Aufsatz einen Beitrag
leisten.
Die
Situation
Eddy
postulierte das Maunder-Minimurn fuer 1645-1710. Er stuetzte sich dabei auf
derart wenig Daten, dass es fast an ein Wunder grenzt, dass seine Ergebnisse ueberhaupt
ernst genommen wurden. Spaetere Untersuchungen, z.B. der Radiochemie, der Archaeologie
etc., schienen indes seine Meinung zu stuetzen. Alles deutete darauf hin, dass
die Sonne einen Aktivitaetseinbruch in der juengeren Geschichte erfahren hatte.
Waehrend
einerseits Eddys Meinung bis heute viel Anklang findet (s. z.B. Kippenhahn [3]),
gab es doch andrerseits bald Kritik. Besonders der Sonnenforscher Gleissberg [4,
5] sowie der amerikanische Meteorologe Landsberg [6]
konnten zeigen, dass Eddys Ergebnisse unrichtig, zumindest aber ueberzogen
interpretiert wurden. Auch andere Autoren [7], [8]
zeigten, dass die vorgeblichen Minima zumindest durch die Polarlichtdaten nicht
gestuetzt werden konnten. Mit anderen Worten: Fuer die reale Existenz eines
Maunder-Minimums im Erscheinungsbild der Polarlicht- und Sonnenfleckendaten gab
es keinen begruendeten Hinweis. Noch etwas kommt hinzu: Neuerdings wird auch das
Spoerer-Minirnum eroertert, das etwa zwischen 1460 und 1550 aufgetreten sein
soll (s. z.B. [3], [9]). Nun wurde
inzwischen gezeigt, dass fuer den gesamten Zeitraum vom 16. bis zum 18.
Jahrhundert zumindest der Solarzyklus funktionierte und auch stets - im normalen
Rahmen - in mittleren Breiten Polarlichter zu sehen waren, (s. [10]).
UEbertraegt man die Daten, die in bekannten Polarlichtkatalogen sowie anderen
Quellen gesammelt wurden (s. hierzu [2], [10]),
so finden wir das in Tabelle 1 zusammengefasste
Ergebnis (vgl. auch Abb.).
Fuer
die Zeit des Spoerer-Minimums laesst sich nach Tabelle 1
eine durchaus normale Polarlichtaktivitaet nachweisen. Bei der Interpretation
darf man natuerlich nicht heutige Massstaebe der regelmaessigen Registrierung
anlegen. Die Menschen des ausgehenden Mittelalters hatten andere Sorgen, als
sich um die Aufzeichnung von Polarlichtern zu kuemmern. Wissenschaftliches Leben
gab es nur im monastischen Bereich, und an den bestehenden gelehrten Anstalten
standen andere Erscheinungen als Polarlichter im Mittelpunkt. UEberdies sah der
himmelwaerts orientierte christliche Menschen in Himmelserscheinungen etwas
anderes als der heutige moderne Mensch. Ungewoehnliche Erscheinungen am Himmel
hatten stets existentielle Bedeutung, besassen einen theologischen Hintergrund.
Solche Phaenomene wurden weder als Naturerscheinungen wahr- genommen noch
registriert. Es kommt hinzu, dass der Buchdruck noch nicht erfunden sowie die
Zeit der „fliegenden Zeitungen“ noch nicht angebrochen war. Wer sollte diese
Erscheinungen aufschreiben? Dies zumindest erklaert auch, weshalb aus dieser
Epoche nur wenige Daten verfuegbar sind. Daraus zu schliessen, es haette keine
Polarlichter gegeben, entbehrt jeglicher Grundlage.
Diese
Deutung muss in gewisser Weise auch auf die nachfolgenden Dezennien uebertragen
werden. Zwar gab es dann Buchdruck, Zeitungswesen und Hochschulen. Was es indes
auch weiterhin nicht gab, war eine systematische Solar- und Polarlichtforschung.
Alles was aufgezeichnet wurde, blieb, weiterhin sporadisch. Das erklaert auch,
weshalb fuer viele Jahre einfach keine Daten auffindbar sind, sich allenfalls in
noch unerschlossenen Quellen befinden koennten.
Es
wurde bereits darauf hingewiesen, dass Eddys Ergebnis in gewisser Weise durch
verschiedene Messmethoden verifiziert wurde. So ist eine Kopplung der Intensitaet
der kosmischen Strahlung im GeV-Bereich mit der Sonnenaktivitaet nachgewiesen.
In diesem Energiebereich erzeugt die kosmische Strahlung in der Atmosphaere
zahlreiche freie Neutronen und wirkt so auf die Isotopen- Verteilung.
Schwankungen der Sonnenaktivitaet muessten sich „fossil“ in der
Isotopen-Verteilung demzufolge wiederspiegeln (H. Suess [9]).
Polarlichter zwischen 1540 und
1720 in Mitteleuropa
Gibt
es solare „Aktivitaets-Minima“?
Zieht
man die Tabellen 1 und 2
heran, so ist ein bemerkenswerter historischer Zeitraum ueberdeckt. Man findet
selbstverstaendlich Jahre, in denen „keine“ Polarlichter bislang nachweisbar
sind. Spricht dies nun dafuer, dass es „keine“ Polarlichter in jenen Jahren
zu sehen gab? Mitnichten. Wie erwaehnt waren die historischen, die
wissenschaftlich-kulturellen Bedingungen nicht so, dass der Forscher heute eine
lueckenlose Statistik erwarten darf. Vielmehr sprechen die Tabellen
1 und 2 mit den verhaeltnismaessig zahlreichen
Jahren mit Polarlichtern (selbst wenn manche Einzelmeldung fraglich ist) fuer
die Existenz der normalen Solaraktivitaet, d.h., der Sonnenfleckenzyklus von
ca. 11 Jahren war durchgehend ungestoert.
Die
Magnetfelder der Sonne sind gemaess der kosmischen Elektrodynamik die Quelle der
Korpuskularstrahlung, welche die Ursache der Polarlichter sind. Diese Strahlung
besteht aus geladenen Partikeln, die sich mit Geschwindigkeiten von ungefaehr
2000 km/s fortbewegen, die Erde also nach einem Tag erreichen. Die Teilchen
dieser solaren Korpuskularstrahlung koennen die solaren Magnetfelder in den
erdnahen Raum hineintragen und so die abschirmende Wirkung des magnetischen
Erdfeldes gegenueber der aus dem Weltraum stammenden kosmischen Strahlung verstaerken.
Atomkerne
N14 des Stickstoffs zu radioaktivem
Kohlenstoff C14
werden. Genauso wie den gewoehnlichen Kohlenstoff C12 nehmen die Pflanzen den
Kohlenstoff C14 aus der Atmosphaere auf. Daher
kann man mit der Isotopen-Zusammensetzung des Kohlenstoffes in fossilen Baeumen
auf die Intensitaet der kosmischen Strahlung zu Lebenszeit der Baeume schliessen
(und aus den Jahresringen der Baeume in chronologischer Folge ordnen).
Da
bei fehlender Sonnenaktivitaet das abschirmende Magnetfeld der Erde schwaecher
ist als bei aktiver Sonne, gelangen bei ruhiger Sonne mehr Partikeln der
kosmischen Strahlung zur Erde. Es entsteht also mehr C14 als bei Sonnenaktivitaet, und
dies sollte aus den fossilen Hoelzern nachweisbar sein.
Man
versucht die Zeiten fehlender Sonnenaktivitaet mit Maximaler C14-Produktion zu korrelieren. Nimmt
man aber an, dass die Zahl der Polarlichter und damit die korpuskulare
Sonnenstrahlung nicht mit der Sonnenfleckenzahl zusammenhaengt, so koennte es
solche Korrelationen gar nicht geben.
Hier
kann also etwas nicht stimmen! In der Tat ist es auch gar nicht klar, dass die
Sonnenaktivitaet die Zahl der hochenergetischen Teilchen der kosmischen
Strahlung, welche die Erde erreichen, unbedingt verringern muss. Die Aktivitaetszentren
der Sonne, die Sonnenflecken, sind naemlich selbst eine Quelle der
hochenergetischen Partikelstrahlung. Es gibt Ereignisse mit einem hohen Anstieg
der kosmischen Strahlung, denen nach einem Tag eine magnetische Stoerung folgt.
Bei diesen Ereignissen gelangen hochenergetische Protonen aus den Sonnenflecken
auf direktem Wege zur Erde (s. [11]).
Fuer
die weiteren UEberlegungen muss auch bedacht werden, dass es derzeit keinen
theoretisch einsehbaren Grund fuer eine saekulare oder periodische AEnderung der
Amplituden der Sonnenaktivitaet, also der Hoehen der Aktivitaetsmaxima der
11-Jahres-Periode, gibt. Die 11-Jahres-Periode selbst und alle mit ihr
verbundenen Relationen werden fuer die Physik der Sonne durch die Dynamomodelle
der Magneto-Hydrodynamik gut erklaert. Aber diese Modelle sind lineare (oder
quasi-lineare) Naeherungen der Grundgleichungen der Magnetohydrodynamik (Eulersche
Gleichungen der idealen Fluessigkeit, Maxwell-Lorentzsche Gleichungen der
Elektrodynamik), die grundsaetzlich nichts ueber die absolute Groesse der
Solaraktivitaeten aussagen koennen.
Man
kann nur annehmen, dass die Amplitude der Sonnenaktivitaet konstant bleibt,
solange sich die physikalischen Eigenschaften der Sonnenatmosphaere nicht
wesentlich aendern. Was aber solche wesentlichen AEnderungen sind und ob sie
vorkommen, ist noch ungeklaert.
Damit
sind heute die behaupteten Schwankungen in der Sonnenaktivitaet in historischen
Zeitraeumen noch ein rein empirisches Problem. Dabei ist nun zwischen
„Aufzeichnungen“ und „fossilen Daten“ zu entscheiden. Diese sind von
sehr unterschiedlicher Relevanz. Die „Aufzeichnungen“ haben die Probleme,
die allen historischen Primaerquellen vergangener Dezennien innewohnen. Vor
allem aber fehlte es bislang in zahlreichen Studien an der notwendigen
„Quellenkritik“, d.h., es fehlte eine Bewertung der Primaerquellen, und aus
vielfach „lueckenhaften“ Sekundaerquellen wurden nicht statthafte Schlussfolgerungen
gezogen. Die „fossilen Daten“ (vgl. Suess [9]) verlangen
die exakte Herstellung ihres Zusammenhanges mit den Solaraktivitaeten.
Gleichzeitig muss dann die Synchronizitaet dieser Daten miteinander (und
eventuell auch mit den „Aufzeichnungen“) geprueft werden.
Schliesslich
ist bei der gesamten Diskussion noch zu bedenken: Die fundamentale Groesse fuer
die Sonnenstrahlung und damit fuer das globale Klima auf der Erde ist die
Solarkonstante J. Sie wird bestimmt durch den mittleren Abstand der Erde von der
Sonne und durch die totale Strahlungsleistung der Sonne. Die mittlere Entfernung
Erde-Sonne ist die grosse Halbachse der Erdbahn und damit eine
himmelsmechanische Konstante (Satz von Laplace). Die Strahlungsleistung der
Solarkonstante wird bestimmt durch die Energieproduktion bei den Kernfusionen im
Sonnenzentrum. Die dabei entstehende Energie bedarf einer
Helmholtz-Kelvin-Zeitskala von ca. 25 Millionen Jahren, um zur Sonnenoberflaeche
zu kommen. Beim heutigen Entwicklungszustand der Sonne ist diese
Strahlungsleistung ueber Hunderte von Millionen Jahren unveraenderlich.
Die
Unveraenderlichkeit der Solarkonstante ist in dem letzten Jahrzehnt durch
extraterrestrische Messungen der totalen Sonnenstrahlung gut bestaetigt worden (Froehlich, s. [12]). Es gibt allerdings kurzzeitige
statistische Fluktuationen DJ (im solaren Minimum-Bereich) von einigen Bruchteilen
eines Promills. Von derselben Groessenordnung DJ/ J » 10-3 findet man auch eine Oszillation
mit der 11-Jahres-Periode des Solarzyklus. Der Mittelwert J0 der Solarkonstante ist ueber die
Dekade unveraendert. Der momentane Wert J ist jedoch durch J = J0 - DJ sin (t/ T) (mit T
» 11 Jahren) gegeben.
Die
Schwankungen der globalen Jahrestemperaturen vergangener Zeiten sind in den
Baumringen, Sedimenten, Gletschern und Firnfeldern „eingefroren“.
Temperaturschwankungen mit der 11-Jahres-Periode waeren so ein fossiles Indiz fuer
Schwankungen der Sonnentaetigkeit. UEber lange Zeitraeume sollte es aber keine
von der primaeren Einstrahlung abhaengigen Klimaschwankungen geben, denn die
Periode der Solarkonstante betraegt eben 11 Jahre (eventuell koennten noch
wesentliche kleinere Schwankungen von mit Perioden von N x 11 Jahren existieren,
die Oberschwingungen entsprechen, vor allem solche mit einer Periode von 2x11
Jahren).
Wichtig
ist, dass die Frage der langzeitlichen Konstanz der Amplituden fuer die Frage
der langzeitlichen Konstanz der Solarkonstanten selbst bedeutungslos ist. Denn
die Solarkonstante J der ruhigen Sonne ist gleich dem Mittelwert J0
von J ueber die volle Aktivitaetsperiode T. Ohne Sonnenaktivitaet waere immer J
= J0 und damit die solare
Einstrahlung gleich ihrem Betrag an den Extremen der periodischen Aktivitaet
(Flecken-Maxima und -Minima). Die saekulare Temperaturstrahlung der Sonne ist
demnach unabhaengig von der Sonnenaktivitaet.
Literatur
[1] E. A. Eddy Th, Maunder Minimum,
Science 192 (1976) 1189
[2]
W. Schroeder, Das Phaenomen des Polarlichts, Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Darmstadt 1984
[3] R. Kippenhahn, Der Stern von dem wir leben, dtv Stuttgart
1992
[4] W. Gleisberg, Ascent and descent
in the eighty-year cycles of solar activity. J. B. A. A. 154 (1968) 265
[5]
W. Gleisberg, Briefliche Mitteilung an W. S. (1979)
[6] H. E. Landsberg, Variable solar
emissions, the Maunder Minimum and climate temperature fluctuations, Arch. Geophys., Meteorol. und Bioklim.
B28 (1980)
181
[7] J. P. Legrand, M. LeCoff, CH.
Mazaudier, W. Schroeder, Solar and auroral activity during the 17th century, In:
Solar-Terrestrial Variability and Global Change, ed. by W. Schroeder and J. P.
Legrand, IAGA, Bremen 1993
[8] L. Schlamminger, Aurorae borealis lag during the maunder
minimum, In: Solar- Terrestrial Variability and Global Change, ed. by W. Schroeder
and J. P. Legrand, IAGA, Bremen 1993
[9] H. E. Suess, Cosmic rays and global climate, In:
Solar-Terrestrial Varability and Global Change ed. by W. Schroeder and J. P.
Legrand, IAGA, Bremen 1993
[10] W. Schroeder: Aurorae during the Maunder-Minimum.
Meteorolog. Atmosph. Phys. 38 (1988) 246
[11]
W. Heisenberg, Kosmische Strahlung, Springer-Verlag 1953
[12] C. Froehlich, Variability of
the solar constant on time scales of minutes to years. J. Geophy. Res. 92 (1987) 796
[13]
W. Schulze, Der achtzigjaehrige Zyklus der Sonnenfleckenhaeufigkeit, Die Sterne
60 (1984) 163